Anlass der Pressemitteilung vom Bündnis AgiEL ist der so genannte „Rollstuhlprozess“ vor dem Amtsgericht Lingen. Der Prozess ist nicht zu Ende und soll irgendwann zum 3. Mal von Neuem beginnen…
Bündnis AgiEL ist entsetzt über die aktuelle Entwicklung im juristischen Nachspiel der Anti-Atom-Demonstration vom Januar 2019.
Das Vorgehen der Justiz gegen Besucher*innen des öffentlichen Prozesses gegen Cécile Lecomte im Amtsgericht Lingen am 18.2.2020 zeigt ganz deutlich, dass nicht nur bekennende Atomkraftgegner*innen, sondern gleich alle Besucher*innen des Prozesses unter Generalverdacht gestellt werden: bis ins tiefste Detail wurden Besucher*innen des Amtsgerichts überprüft. Durch Taschenkontrollen, mehrfache Überprüfung mit Detektoren, Leibesvisitationen bis in den Intimbereich wurde der Zugang zum Prozess dermaßen erschwert, dass sich eine Warteschlange vor den Türen des Amtsgerichts bildete, die sich erst eine Stunde nach dem angesetzten Prozesstermin aufgelöst hatte.
Zustände, die erschrecken, und die an die Prozesse gegen RAF-Terroristen in Stuttgart-Stammheim erinnern – allerdings hier in Lingen, wo zwar eine recht überschaubare Gruppe von Kritiker*innen immer wieder vehement auf die Gefahren der Atomkraft hinweist, dies aber bislang stets gewaltfrei und mit ausschließlich friedlicher Gesinnung.
Einer Bürgerin, die sich während der Leibesvisitation freundlich um den Anlass solch scharfer Kontrollen erkundigte, wurde letztlich sogar der Zugang zum Gerichtssaal verwehrt.
Hier wurde klar gegen das Gesetz verstoßen, und zwar durch die Justiz selbst!
Das wiederum wirft Fragen auf: Warum wurden dermaßen scharfe Maßnahmen angeordnet für einen Prozess, bei dem lediglich geklärt werden soll, ob die angezogenen Bremsen eines Rollstuhls Widerstand gegen die Staatsgewalt darstellen? Mit welcher Begründung kann der Direktor des Amtsgerichts Lingen rechtfertigen, dass einzelne, unbescholtene und friedliche Personen nicht an einem öffentlichen Prozess teilnehmen durften?
In diesem Zusammenhang erscheinen auch der völlig ungerechtfertigte Polizeieinsatz beim Besuch der südafrikanischen Umweltaktivistin Makoma Lekalakala vor dem Werkstor des AKW Lingen im Sommer 2019 und der martialisch anmutende Aufmarsch der Polizeihundertschaft bei der Anti-Atom-Demo im vergangenen Oktober in einem neuen Licht:
„Sollen Kritiker*innen der Atomwirtschaft, die friedlich von ihren Grundrechten Gebrauch machen, systematisch kriminalisiert werden?“ fragt Heide Kuhnert vom Bündnis AgiEL.
Lingen wird auch über den sogenannten „Atomausstieg“ hinaus ein zentral bedeutender Standort für die Atomindustrie und -politik bleiben: von hier aus werden weiterhin auf unbefristete Zeit ausländische Atomkraftwerke mit Brennelementen versorgt, seit Jahren wird in Lingen radioaktiver Müll aus Jahrzehnten der Nutzung von Atomkraft auf unbekannte Zeit zwischengelagert, und das Risiko, dass die Salzstöcke im nördlichen Emsland als Jahrmillionen-Endlagerstätte für hochradioaktiven Abfall ausgewählt werden, ist hoch.
„Auch von staatlicher Seite ist jeglicher Widerstand natürlich höchst unerwünscht. Da muss man sich nicht wundern, wenn alle Register gezogen werden, um für Ruhe zu sorgen“, so Andreas Vorbrook vom Bündnis AgiEL.
Wir fordern die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen, und wir fordern den Schutz der Grundrechte aller Menschen, die sich kritisch mit der Atomlobby und mit der Atompolitik von Bund, Ländern und Gemeinden auseinandersetzen!
Weitere Berichte zum Prozess:
- Die Angeklagte berichtet in ihrem Blog unter dem Tag rollstuhlprozess2020 .
- Es gibt Presseberichte: NOZ-Artikel ; NOZ-Kommentar ; Neues Deutschland ; Junge Welt