Anlieferung mehrerer Container aus Russland, Hinweise auf Rosatom-Mitarbeiter*innen im Werk: Hat der Ausbau der Brennelementefabrik Lingen bereits begonnen? / Anti-Atom-Initiativen fordern Aufklärung / Atomaufsicht muss jede Aktivität des Kreml-Konzerns in Deutschland unterbinden

Ist der umstrittene Ausbau der Brennelementefabrik Lingen bereits im Gang? Das befürchten Anti-Atom-Initiativen nach Beobachtungen vor Ort und aktuellen Hinweisen aus der örtlichen Bevölkerung. Demnach könnten Framatome ANF, Betreiber der Atomanlage, und der dem Kreml unterstellte russische Staatskonzern Rosatom bereits heimlich Fakten schaffen – noch bevor über die beantragte Genehmigung überhaupt entschieden ist.

Seit dem 12. April stehen auf dem Gelände der Brennelemente-Fabrik in Lingen drei rote Container, die allem Anschein nach mit dem russischen Frachter Baltiyskiy‑202 über Rotterdam aus Russland angeliefert wurden. Im Gegensatz zu den regelmäßigen Uranlieferungen aus Russland waren sie jedoch nicht mit Gefahrgut-Tafeln gekennzeichnet und enthalten demnach kein radioaktives Material. Atomkraftgegner*innen vermuten daher, dass mit ihnen Anlagenteile, Maschinen und/oder Komponenten von Rosatom für die Erweiterung der Brennelementefabrik importiert wurden.

Hinweisen aus der örtlichen Bevölkerung zufolge besuchen in letzter Zeit regelmäßig russisch-sprechende und offenbar in einem Hotel in Lingen untergebrachte Personen die Brennelementefabrik im Süden der Stadt. Diese Vorgänge deuten darauf hin, dass Framatome unter Beteiligung von Rosatom-Mitarbeiter*innen bereits mit vorbereitenden Arbeiten oder sogar dem Aufbau von Maschinen begonnen hat – ohne die atomrechtliche Genehmigung für die Erweiterung der Brennelemente-Produktion abzuwarten.

Laut den direkten und den vom niedersächsischen Umweltminister Meyer wiedergegebenen Aussagen von Framatome ANF im ZDF-Magazin „Frontal“ von Dienstagabend (30.4.) sollen sich zwar „während der Produktion“ der Brennelemente „keine Russen“ am Standort Lingen aufhalten. Vor Beginn der Produktion sei russisches Know-How allerdings zwingend nötig – auch durch Mitarbeiter*innen vor Ort. Auch dies stützt den Verdacht, dass die für die Produktionserweiterung in Lingen nötigen Rosatom-Mitarbeiter*innen ihre Aufgabe unter Umständen bereits jetzt erledigen könnten.

Julian Bothe von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt kommentiert:
„Wenn Framatome ANF dem Kreml tatsächlich bereits Tür und Tor öffnet und Maschinen und Komponenten des russischen Staatskonzerns anliefern lässt, ist dies eine Ungeheuerlichkeit. Nicht nur mehr als 11.000 Einwender*innen, sondern auch Landes- und Bundesregierung haben massive Sicherheitsbedenken gegen den Einstieg von Rosatom in Lingen vorgetragen, unter anderem wegen der Gefahr von Spionage und Sabotage. Die Atomaufsicht muss den Hinweisen umgehend nachgehen. Sie muss sicherstellen, dass keine dem Kreml direkt oder indirekt unterstellten Personen – dazu zählen insbesondere auch Rosatom-Mitarbeiter*innen– Zutritt zurBrennelementefabrik bekommen. Bereits angelieferte Maschinen und Komponenten müssen konfisziert werden. Das Genehmigungsverfahren darf nicht zur Farce verkommen.“

Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEl – Atomkraftgegner*innen im Emsland – erklärt: „Sollten russische Behörden beziehungsweise deren Mitarbeiter*innen tatsächlich schon in Lingen tätig sein, muss die Bevölkerung davon umgehend in Kenntnis gesetzt werden. Mitarbeiter*innen von ANF, deren Familien und ihr soziales Umfeld könnten in den Fokus des russischen Geheimdienstes geraten. Bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit muss die Atomaufsicht dem Betreiber der Atom-Fabrik unverzüglich die Betriebserlaubnis entziehen.“

Wladimir Sliwjak, Kovorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense! und Träger des Alternativen Nobelpreises 2021, ergänzt:
„Die deutschen Behörden unterschätzen immer noch, wie sehr Russland auf Spionage, Sabotage und Desinformation setzt. Bei den Hinweisen auf aktuelle Aktivitäten von Rosatom in Lingen müssen alle Alarmglocken schrillen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten Berichte über immer neue Spionagefälle in Deutschland. Die deutschen Behörden müssen unverzüglich erklären, ob sie von den Vorgängen wussten und warum sie – sollten sich die Hinweise als wahr erweisen – nicht eingeschritten sind. Jegliche Zusammenarbeit mit Rosatom muss sofort gestoppt werden.“

Hier geht es zum Beitrag des ZDF-Magazins „Frontal“ vom 30.04.2024:

https://www.zdf.de/politik/frontal/uran-lieferung-russland-trotz-eu-sanktionen-atomkraft-100.html

Hier geht es zum Tagesschau-Podcast 11km „Die Stunde der Spione“: