Urantransporte in Lingen: Klarer Notfallplan nicht erkennbar.
Am 22.1.2020 löste Lingens Oberbürgermeister Dieter Krone sein Versprechen ein, dem Bündnis AgiEL und der Öffentlichkeit den Notfallplan für einen möglichen Transportunfall mit Freisetzung von Uranhexafluorid zu erläutern (siehe hier). Begleitet wurde Herr Krone von der Leiterin des Fachbereichs „Recht und Ordnung“, Frau Möllenkamp.
So schön es auch war, dass die Verwaltung sich die Zeit genommen hat – wirkliche Klarheit und konkrete Antworten brachte der Abend leider nicht. Aber der Reihe nach.
Nachdem das „Bündnis AgiEL“ zunächst sehr konkret das eigentliche Problem aufzeigte, nämlich die außerordentlich große Gefahr, die von den mehrfach wöchentlich in Lingen stattfindenden LKW-Transporten mit Uranhexafluorid ausgeht (Präsentation hier zum Download), gab es kurze Begrüßungsworte vom Oberbürgermeister und anschließend eine recht ausgedehnte Präsentation durch Frau Möllenkamp vom Ordnungsamt. In der 28 Folien umfassenden Präsentation ging es auf den ersten 27 Folien allerdings nur um allgemeine Informationen zu Gefahrguttransporten, um die grundsätzlichen Zuständigkeiten der Behörden, um Grundwissen zum Katastrophenschutz und zu Evakuierungsplänen. Die gute Ausrüstung der Feuerwehr wurde mehrfach hervorgehoben („…vorbereitet für jede Art von Gefahrgutunfall“), und sogar die Alarmkette des Lingener Brennelementeherstellers ANF/Framatome wurde gelobt, nachdem beim dortigen Brand im Dezember 2018 die Feuerwehr „routiniert und professionell gearbeitet“ habe (einige LeserInnen haben die damalige Situation möglicherweise ganz anders in Erinnerung, vor allem den Teil bezüglich der Alarmkette und der Routine der Feuerwehr…).
Nach etwa einer Stunde wurde dann die einzige Folie gezeigt, auf der es konkret um einen „Unfall mit Uranhexafluorid“ gehen sollte. Doch so richtig konkret wurde es dann doch nicht. Keine klaren Maßnahmenpläne, keine Darstellung zur Sondervorhaltung von Medikamenten, kein Wort zur schnellen medizinischen Versorgung der Bevölkerung aufgrund schwerster Verätzungen, die durch die Freisetzung von Uranhexafluorid drohen. Nichts, was erkennen ließe, dass konkrete Unfallszenarien durchgespielt und entsprechendes Material vorbereitet wurde. Stattdessen wurden wieder die zuvor erläuterten allgemeinen Maßnahmen beschrieben: „Absperrung der Unfallstelle, Versorgung der Verletzten, Abfrage Sicherheitsdatenblatt, Ablöschen mit Pulver, Messen, Evakuieren und Anfordern von Unterstützung.“
Hier endete der Vortrag dann.
Im Verlauf der weiteren Diskussion räumte die Leiterin des Fachbereichs Recht und Ordnung ein:
„Die Stadt kann sich nicht auf jeden Gefahrgutunfall, jede Bombe im Einzelnen vorbereiten. Wir üben substanzunabhängig“.
Das Publikum reagierte sehr kritisch darauf: gerade in Lingen, wo sich die Atomindustrie dermaßen kumuliert, sollten konkrete Notfallpläne für Unfälle mit genau diesen hochgefährlichen Substanzen parat liegen.
Eine Beteiligung der Lingener Feuerwehr an dem Infoabend wäre möglicherweise erhellend gewesen, war aber von der Stadtverwaltung offiziell nicht erwünscht. Dem Verwaltungsteam sprang dann doch der (inoffiziell anwesende) ehemalige Stadtbrandmeister, Günter Reppien, beiseite: Flusssäure (u.a. Reaktionsprodukt von Uranhexafluorid, Anm.d.V.) werde ständig und überall durch das ganze Land transportiert, anderswo sogar viel häufiger als in Lingen. Aber nirgends wäre die Feuerwehr so gut ausgerüstet wie in unserer Stadt. Somit sei die Situation in Lingen doch sogar überdurchschnittlich gut.
Die gute Ausrüstung der Feuerwehr wird von den KritikerInnen der Urantransporte gar nicht angezweifelt – Transportunfälle mit Flusssäure waren allerdings nicht das eigentliche Thema.
Und: Ob Herr Reppien, der sich neben seinem Ehrenamt bei der Lingener Feuerwehr und als langjähriger Mitarbeiter und ehemaliger Gesamtbetriebsratsvorsitzender der RWE-Power AG auch politisch als Lobbyist der Atomindustrie betätigte bei der Bewertung von Gefahren durch Urantransporte die nötige Neutralität an den Tag legt, kann durchaus bezweifelt werden. So war sein Versuch, die Gefahrensituation zu verharmlosen, nicht weiter verwunderlich.
Aus ähnlichem Grund sehen wir, dass es Herrn Reppien auch darum gehen dürfte, die Ausrüstung der Lingener Feuerwehr besser darzustellen, als es tatsächlich angebracht ist. Auch wenn er sich anscheinend nur wenige Sorgen um seine Kameraden macht – wir haben angesichts der speziellen Probleme im Rahmen eines Unfalls mit UF6 durchaus Anlass zur Sorge. Nicht nur um die Bevölkerung der Stadt im allgemeinen, sondern besonders auch um die Helferinnen und Helfer der Lingener Feuerwehr sowie der anderen Katastrophenschutzeinheiten. Die möchten nach derart gefährlichen Einsätzen schließlich gesund zu ihren Familien zurückkehren.
Kreisverwaltung weist Zuständigkeit von sich: Wie das Verwaltungsteam der Stadt Lingen unmissverständlich sagte: „Überschreitet das Unglück die Katastrophenschwelle, ist der Landkreis Emsland Herr des Geschehens“. Der Landkreis scheint das aber ganz anders zu sehen. Auf wiederholte Fragen im Vorfeld des Informationsabends bekamen wir von der Kreisverwaltung nämlich die Antwort: Für die Gefahrenabwehr bei einem Transportunfall mit Uranhexafluorid im Gebiet der Stadt Lingen „ist die örtliche Gefahrenabwehrbehörde, also hier die Stadt Lingen zuständig.“
Könnte es sein, dass der Landkreis lieber gar nicht zuständig sein will, da ihm nicht nur der ABC-Zug abhanden gekommen ist, sondern auch keine Führungsmittel wie zeitgemäße Einsatzleitwagen zur Verfügung stehen? Mängel in der Gefahrenabwehr gibt es beim Landkreis Emsland genügend, das wurde in der Vergangenheit immer wieder deutlich.
Welche Erkenntnisse hat uns dieser Abend also gebracht? Weniger als erhofft, das ist klar. Auch wenn die Feuerwehr Lingen, gemessen an anderen Freiwilligen Feuerwehren, über eine überdurchschnittlich gute Ausbildung und ordentliche Ausstattung verfügt – auch ihre Ressourcen sind begrenzt und auf einen so speziellen Unfall nicht ausgerichtet. Die Planung der Verwaltung steht im gleichen Lichte. Sie ist sicher besser als anderswo, aber eben bei weitem nicht lückenlos. Vorbereitungen vonseiten des Rettungsdienstes? Landkreissache. Und der drückt sich schon seit Jahren um alles, was Gefahrenabwehr und Zivilschutz angeht. Auch in diesen Punkten entstand an diesem Abend keine Klarheit, sondern eher Grund zur Besorgnis.
Für viele der TeilnehmerInnen war klar: zu den obersten Pflichten der Stadtverwaltung und des Landkreises Emsland gehört der Schutz der Bevölkerung vor Gefahren. „Ich wünsche mir vom Oberbürgermeister weitaus weniger Loyalität und stattdessen eine kritischere Haltung gegenüber der Atomindustrie“, sagte eine Teilnehmerin im Anschluss an die Veranstaltung.
Dem möchten wir uns anschließen und den Wunsch ergänzen, dass auch die Kreisverwaltung in dieser Angelegenheit überhaupt erst mal aus dem Dornröschenschlaf erwachen möge. All das begleitet von dem Traum, dass schlussendlich die beste und effektivste aller Vorsorgemaßnahmen in dieser Sache betrieben wird: Abschalten.
Das „Bündnis AgiEL“ fordert die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke, einschließlich aller anderen kerntechnischen Anlagen, die zur Erzeugung von Atomstrom benötigt werden.