Umweltverbände und Anti-Atomkraft-Organisationen fordern:
Ukraine-Hilfe: Merz muss Sanktionslücken schließen
„Atomgeschäfte mit Kreml in Lingen und Gronau beenden“
Angesichts der anhaltend großen Einflussnahme des Kreml auf die hiesige Atomwirtschaft fordern mehrere Umweltverbände und Anti-Atomkraft-Organisationen von Bundeskanzler Friedrich Merz, umgehend die immer noch umfangreichen Atomgeschäfte der russischen Regierung in Deutschland zu beenden und aus der gesamten Uranverarbeitung auszusteigen. Sowohl Merz wie auch die EU haben als Reaktion auf die fortgesetzten militärischen Angriffe der russischen Truppen in der Ukraine auch im Energiebereich verstärkte Sanktionen angekündigt. Der brisante Atomsektor war davon bislang aber komplett ausgeklammert. Durch die ungehinderte Verarbeitung von russischem Uran in der Brennelementefabrik Lingen (Emsland) und in der Urananreicherunganlage Gronau (Westfalen) füllt sich Putins Kriegskasse weiterhin in beträchtlichem Umfang.
Zudem liegt der Antrag des staatlich-französischen Betreibers der Brennelementfabrik Lingen, Framatome, ein atomares Joint-Venture mit dem Atomkonzern des Kreml, Rosatom, einzugehen, noch immer beim Niedersächsischen Umweltministerium zur Begutachtung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die endgültige Entscheidung letztlich im Kanzleramt gefällt wird. Im November 2024 hatte es in Lingen einen dreitägigen Erörterungstermin gegeben, nachdem 11 000 Einwendungen eingegangen waren. Framatome möchte sich zur Herstellung „russischer“ Brennelemente für Osteuropa ausgerechnet bei Rosatom das technische Know-How einkaufen und macht sich so vom Kreml direkt abhängig.
Der Gronauer Urananreicherer Urenco hat zwar nach eigenen Angaben sämtliche direkte Verträge mit Russland in 2022 gekündigt, aber Anfang 2024 wurde bekannt, dass Urenco dennoch russisches Uran anreichert, wenn dies vom jeweiligen AKW-Betreiber gewünscht wird.
Zu Pfingsten für Lingen neue Uranlieferungen per Schiff aus Russland?
Eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Gefahr sind zudem die beiden russischen Atomschiffe „Mikhail Dudin“ und „Baltiyskiy 202“, die regelmäßig das russische Uran von St. Petersburg aus nach Westeuropa liefern. Just heute wird die „Mikhail Dudin“ laut der Marine-Website „Vesselfinder“ im französischen Dünkirchen erwartet, während die „Baltiyskiy 202“ am Pfingstsonntag, 8. Juni, in Rotterdam angekündigt ist. Über den Hafen von Rotterdam wickelt die Brennelementefabrik Lingen ihre Urangeschäfte mit Russland ab, sodass eine neue Uranlieferung für die Uranfabrik im Emsland zu erwarten ist. Erstmals sind beide russischen Atomschiffe gleichzeitig unterwegs nach Westeuropa.
Die „Baltiyskiy 202“ war im Oktober 2024 zudem in einen gravierenden Vorfall im Seegebiet eines Unterseekabels zwischen Lettland und Schweden verwickelt. Das Schiff hatte seine reguläre Fahrt nach St. Petersburg für rund 24 Stunden unterbrochen und mit langsamer Geschwindigkeit exakt über dem Unterseekabel eine Schleife gezogen. Erst als sich ein Kriegsschiff der Nato mit hoher Geschwindigkeit näherte, setzte der Uranfrachter seine Fahrt nach Russland fort. Drei Monate später wurde just dieses Unterseekabel zum Ziel eines Sabotageaktes.
„Präsident Putin kann seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine auch deshalb fortsetzen, weil er aus seinen Atomgeschäften mit Westeuropa etliche Millionen Euro überwiesen bekommt. Wer also den Kreml unter Druck setzen will, sollte nicht immer nur auf neue Waffen schauen, sondern endlich auch den Geldhahn zudrehen. Wir fordern deshalb ein sofortiges Verbot für die Verarbeitung von Uran aus Russland in den beiden Atomfabriken in Lingen und Gronau. Zudem muss der Kooperationsantrag von Framatome mit Rosatom endlich abgelehnt werden“, so Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEL – Atomkraftgegner:innen im Emsland.
„Ein Verbot weiterer Urangeschäfte mit dem Kreml kann die Bundesregierung in alleiniger Verantwortung selbst umsetzen, da die beiden Atomanlagen in Lingen und Gronau nach deutschem Recht betrieben werden. Zudem ist die Bundesregierung im politischen Aufsichtsgremium für den Gronauer Urananreicherer Urenco mit Stimm- und Vetorecht vertreten. Und die Sicherheitsbehörden warnen ständig vor den hybriden Bedrohungen durch Spionage und Sabotage. Wenn Kanzler Merz es mit seiner harten Haltung ernst meint, muss er jetzt handeln“, ergänzte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.
„Wir sehen mit großer Sorge, dass sich der geopolitische Einfluss der russischen Regierung auf die Atomwirtschaft in Deutschland und Westeuropa trotz des Angriffs auf die Ukraine weiter erhöhen könnte. Die geplante Atomkooperation zwischen Framatome und Rosatom würde dem Kreml extrem brisante neue Türen in Deutschland öffnen. Atomkraft ist keine Energie wie jede andere, sondern ist sowohl in Frankreich als auch in Russland ein zentraler Baustein zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit nuklearer Massenvernichtungswaffen“, so Angelika Claußen von den Internationalen Ärzt*innen zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW).