Am Dienstag, 25.10.2016, fand der Prozess gegen eine Atomkraftgegnerin vor dem Amtsgericht Lingen statt. Verhandelt wurde wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, die Angeklagte soll sich im Rahmen einer Sitzblockade an der Brennelementefabrik mit ihren Nachbarinnen untergehakt haben. Der Prozess dauert schon über drei Jahre und endete vorläufig mit einem Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit.
Im Sommer 2013 blockierten ca. 50 Atomkraftgegner*innen die Zufahrt zur Brennelemetefabrik der Firma ANF/ Areva. Infolge einer Räumung durch die Polizei sahen sich die Teilnehmenden mit zahlreichen Gerichtsverfahren konfrontiert. Verurteilt werden konnte niemand; alle Verfahren sind eingestellt.
Nur in diesem Fall versuchte die Staatsanwaltschaft auch gestern weiter, ihre Vorwürfe durchzusetzen, trotz der Tatsache, dass es sich vorliegend – wie die Vertreterin der Staatsanwaltschaft in der Verhandlung selbst zugeben musste – um einen Bagatellfall handelte. Die Atomkraftgegnerin stand vor Gericht, weil ein erstes freisprechendes Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin durch das Oberlandesgericht aufgehoben worden war. Einer Verfahrenseinstellung stimmte diese nicht zu, obwohl auch die Verfahren der Sitznachbar*innen mit Freispruch oder Einstellung auf Staatskosten endeten. Auch gestern ließ sich keine strafbare Widerstandshandlung der Angeklagten nachweisen, sodass die Angeklagte von diesem Vorwurf freigesprochen wurde.
Der vorsitzende Richter begründete sein Urteil mit einem unvermeidbaren Verbotsirrtum. Er selbst sehe das Unterhaken nicht als strafbar an. Der Freispruch beim ersten Prozess und die Aufhebung des Urteils durch das OLG habe gerade bewiesen, dass selbst Juristen und berufliche Richter sich darüber uneins sind, ob und wann das „sich unterhaken“ als Widerstand zu werten sei. Von der Angeklagten könne insofern nicht abverlangt werden, dies einzuordnen.
Der Vorsitzende verurteilte sie jedoch zu einem Bußgeld in Höhe von 50 Euro wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz; also für die Ordnungswidrigkeit, die bei ihren Mitsreiter*innen längst verjährt ist und bei der Angeklagten nur deshalb nicht verjährt war, weil diese zusammen mit einem Strafvorwurf mit deutlich höheren Verjährungsfristen verhandelt wurde.
Damit ist die Angeklagte die Einzige, die für die Protestaktion verurteilt wird. Außerdem verfügte das Gericht, dass sie die Verfahrenskosten sämtlicher Instanzen zu tragen hat – obwohl der ursprüngliche Vorwurf aus der Anklage der Staatsanwaltschaft entkräftet wurde . Die Aktivistin findet das ungerecht und will das Urteil angreifen. Das letzte Wort ist in dieser Sache nicht gesprochen: „Man sollte die Betreibenden der Atomanlagen verfolgen anstatt diejenigen zu kriminalisieren, die auf die Gefahr derselben aufmerksam machen“.
Auch den heutigen Prozesstag nutzten die Aktivist*innen, um auf die Problematik der Atompolitik hinzuweisen. „Die Bundesregierung fordert eine Schließung von Pannenreaktoren wie Fessenheim und Doel, während sie eine Anlage weiterlaufen lässt, die diese mit Brennelementen versorgt,“ so ihr Anwalt. Am nächsten Samstag 29.10.2016 gehen die Atomproteste in Lingen mit einer Großdemonstration um 13 Uhr am Hbf Lingen weiter.