Die Brennelementefabrik in Lingen produziert hauptsächlich für den Export ins europäische Ausland. Neben Atomkraftwerken in Deutschland werden Atomkraftwerke in Frankreich, Finnland, Großbritannien, Belgien, Schweden, Spanien, der Schweiz und den Niederlanden beliefert. Auch besonders umstrittene Meiler mit Rissen oder zahlreichen Störfällen in Doel, Fessenheim und Cattenom werden aus Lingen versorgt. Um der Stilllegung aller Atomanlagen weltweit (und der damit verbundenen Gefahren) näher zu kommen, fordern deshalb zahlreiche Anti-Atom-Initiativen einen sofortigen Exportstopp für Brennelemente.
Rechtliche Einschätzungen
Rechtlich wäre das auch mit den jetzt geltenden Gesetzen möglich – es fehlt alleine der politische Wille. Die jetzigen Exporte in Pannen- und Schrottreaktoren wie Doel, Fessenheim und Cattenom sind mit dem geltenden Atomrecht nicht vereinbar, das stellte die Juristin Cornelia Ziehm in ihrem Rechtsgutachten fest, das von der IPPNW und AntiAtomBonn sowie anderen Initiativen in Auftrag gegeben und im Juli 2016 vorgestellt wurde. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) darf demnach keine Exportgenehmigung erteilen, wenn die „äußere und innere Sicherheit der Bundesrepublik“ gefährdet ist. Das wäre bei einem Super-GAU in den grenznahen AKW aber der Fall.
Das Bundesumweltministerium dagegen behauptet weiterhin, für einen Exportstopp dieser Art gäbe es keine rechtliche Handhabe. Dabei beruft es sich auf einen Passus im Atomgesetz, der aus dem Jahr 1958 stammt. Doch damit nicht genug: Der Passus wird dann auch noch falsch interpretiert bzw. durch Weglassen des entscheidenden Satzes verzerrt. Ziehm hat, beauftragt von der IPPNW, die Aussagen des Umweltministerium bewertet und in allen Punkten widerlegt bzw. entlarvt.
Parlamentarisches Hin und Her
Nach einer Menschenkette mit 50.000 Teilnehmenden geriet 2017 politisch Bewegung in die Sache: Der in NRW regierende CDU-Ministerpräsident Laschet forderte die Umweltministerin auf, die Brennelement-Exporte von Lingen nach Belgien zu stoppen. Damals die Umweltminister*innen von NRW, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen schlossen sich der Forderung an. Im Koalititionsvertrag der Regierung aus CDU, SPD und CSU landete Ende 2017 so auch ein Passus, in dem es hieß, dass die Bundesregierung verhindern will, „dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, zum Einsatz kommen“. Sie will dazu „prüfen, auf welchem Wege wir dieses Ziel rechtssicher erreichen“.
Im März 2018 startete dann das Umweltinstitut eine Kampagne für den Exportstopp von Brennelementen in Risikoreaktoren – im September wurden 121 000 Unterschriften an Bundesumweltministerin Schulze, NRWs Ministerpräsident Laschet und Niedersachsens Ministerpräsident Weil überreicht. Auf Initiative Baden-Württembergs sollte dann schließlich am 23.11.2018 ein Exportverbot für angereicherte Brennelemente an altersschwache, grenznahe AKW im Bundesrat auf den Weg gebracht werden. Doch Laschet, der sich ein Jahr zuvor verbal als Atomkraftgegner betätigte, blockierte das Exportverbot im Bundesrat.
Export geht weiter
Der Werksleiter Hoff erzählt im März 2018 stolz von der Erstbefüllung für den finnischen AKW-Neubau Olkiluoto 3. und gibt dabei an, wenn sie keine Brennelemente liefern würden, kämen sie von woanders, beispielsweise aus Russland. Dabei sind die russischen Reaktoren ganz anders konzipiert als die meisten europäischen Druckwasserreaktoren. Die russischen Brennelemente sind deshalb nicht kompatibel mit den belgischen Meilern. Gemeint ist mit der „Konkurrenz“ wohl hauptsächlich Westinghouse mit Produktionsstätten in Schweden und England. Westinghouse hat vor einem Jahr aber Insolvenz angemeldet. Die Uranfabriken sind davon zwar nicht direkt betroffen, aber sie hatten und haben große Lieferprobleme, die Kapazität ist jedenfalls zurückgegangen. Tatsache ist auch, dass die Uraltreaktoren Doel 1 und 2 seit Ewigkeiten ausschließlich aus Lingen beliefert werden.
Weiterhin werden Genehmigungen für den Export von Brennelementen beibehalten und erteilt. Mit der Brennelementefabrik in Lingen, der Urananreicherungsanlage in Gronau, deren unbefristeten Betriebsgenehmigungen und den erteilten Exportgenehmigungen garantiert die Bundesrepublik Deutschland den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken weltweit. Die Gefahren werden auch bei rissigen Reaktoren in den Hintergrund gedrängt. Die Politik garantiert, dass framatome (früher Areva) und RWE weiterhin in Lingen Profit machen auf Kosten von Umwelt und Gesundheit.
Hintergrundinformationen:
- IPPNW Pressemitteilung vom 22.07.2016
- Rechtsgutachten zum Export von Brennelementen aus Lingen
- Ausführlicher Artikel in der September/Oktober-Ausgabe der Bonner Umweltzeitung
- Antwort-Brief des Bundesumweltministeriums an IPPNW
- Widerlegung der Argumente des Umweltministeriums durch Cornelia Ziehm
- Pressemitteilung vom 21.10.2016 zum rechtssicher möglichen Brennstab-Exportstopp
- NRW, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen fordern Stopp der Brennelement-Exporte am 31.3.17
- Aachener Zeitung: Briefwechsel – Laschet fordert Export-Stopp nach Tihange vom 28.7.2017
- Brennelemente aus Lingen für AKW-Neubau in Olkiluoto (Finnland) – Ende 2017
- Kampagne des Umweltinstituts für den Exportstopp von Brennelementen in Risikoreaktoren 2018
- Gemeinsamer Appell verschiedener Umweltverbände zum Exportstopp für Brennelemente vom 15.11.2018
- Bundesrats-Initiative zum Exportstopp aus Baden-Württemberg vom November 2018